Die AEG-Hilfs-Dampfturbine aus dem Lossewerk

AEG-Hilfs-Dampfturbine zur Speisewasserförderung bei Ausfall eines elektrischen Antriebs 

Ein Dampferzeuger, gleich ob als stationärer Dampfkessel oder als selbst fahrende Dampflokomotive, muss nach dem Anheizen und beginnendem Dampfverbrauch ständig mit Speisewasser versorgt werden, da ansonsten bei weiterer Brennstoffzufuhr die Gefahr einer Überhitzung bis hin zur Zerstörung führen kann. In Kraftwerken werden hierfür meist Kreiselpumpen verwendet, die mittels Elektromotoren angetrieben werden. Aus Redundanzgründen werden diese üblicherweise doppelt ausgeführt, wobei die Leistung einer Pumpe ausreichend ist und die zweite in Reserve gehalten wird, z. B. für Wartungsarbeiten oder Störungen an einer der beiden. Aber auch ein Motor oder eine Schaltanlage können ausfallen, wie in der Elektrizitätsversorgung gilt hier zumeist die (n-1)-Regel: Bei Ausfall eines Elements und/oder einer ganzen Einheit kann die Gesamtanlage weiterbetrieben werden, ggf. mit einer kurzen Unterbrechung. Und dafür kann anstelle eines Elektromotors auch eine Hilfsturbine benutzt werden, denn Dampf steht ja zur Verfügung und der Dampferzeuger muss weiter mit Speisewasser bis zum Herunterfahren versorgt werden.

Die in unserem TMK vorhandene AEG-Hilfs-Dampfturbine stammt aus dem dritten Kraftwerk "Cassels", welches in den Lossewiesen errichtet und 1911 in Betrieb genommen wurde; zu einer Zeit also, in der Kassel offiziell noch mit C geschrieben wurde. Wann die Hilfsturbine bei welcher der mehrfachen Erweiterungen geliefert und damit für welchen Dampferzeuger und welche Stromerzeugungsanlage verwendet wurde können wir leider nicht belegen. Keinesfalls ist dies aber bei der ersten Baustufe gewesen, denn aus der uns vorliegenden ausführlichen Beschreibung über den Bau dieses Kraftwerkes geht hervor, dass die Speisewasserförderungsanlage ausschließlich mit Duplex-Dampfpumpen betrieben wurde.

Aus zwei Schildern mit Drehzahl- und Leistungsangaben an der Turbine (auch zur Ersatzteilbestellung) geht hervor, dass sie eine Höchstleistung von 150 PS hatte (nach unseren heutigen Maßstäben also 110 kW) und mit einer Drehzahl von 7.238 Umdr./min betrieben wurde. Sie beinhaltet ein Anpassgetriebe zur Herabsetzung auf die Drehzahl des normalerweise die Speisewasserpumpe antreibenden Elektromotors von 965 Umdr./min. Das Werk in den Lossewiesen, heute Standort der Müllverbrennungsanlage, war das erste Kraftwerk Kassels, welches Drehstrom mit einer Frequenz von 50 Hertz (Hz) erzeugte, nach den Regeln für die Drehzahl eines Drehstrom-Asynchronmotors bei gegebener Frequenz muss es sich also um eine sechspolige Maschine gehandelt haben.

Die Maschine wurde mit überhitztem Frischdampf bei einem Druck von 16 bar und 400 °C möglicherweise als Gegendruckturbine betrieben. Nach Arbeitsabgabe in den drei Laufrädern ohne zwischengeschaltete Leiträder trat der Abdampf dann mit unbekanntem Gegendruck aus und wurde in diesem Fall entweder einer Wärmeverteilleitung oder einem weiteren Wärmeverbraucher zugeleitet.

Im linken Bild der Dampfeintritt links unten und der Dampfaustritt mitte oben sowie im rechten Bild die Labyrinthdichtung rechts und die drei Laufräder links (je nach Endgerät Desktop-PC, Tablet oder Smartphone nebeneinander oder übereinander abgebildet)

Wann die AEG-Hilfs-Dampfturbine im Kraftwerk Losse sowohl in wie auch außer Betrieb genommen wurde wissen wir nicht, aber ganz offensichtlich wurde sie zu Anschauungs- und vielleicht auch Lehrzwecken zu einem Viertel aufgeschnitten und das ermöglicht uns heute, den inneren Aufbau mit den drei deckbandbeschaufelten Laufrädern geringfügig unterschiedlichen Durchmessers zu erkennen. Der Dampf strömte von rechts hinten nach links durch die Turbine und trat nach Arbeitsabgabe oben wieder aus. Über Labyrinthdichtungen wurde an der Welle der hohe Druck zur äußeren Umgebung und zum Anpassgetriebe abgebaut. Links befindet sich das Anpassgetriebe, von dem nur das Ritzel für die hohe Drehzahl des Turbinenteils zu sehen ist. 

 

Im linken Bild die Labyrinthdichtung links und die drei Laufräder rechts sowie im rechten Bild das Ritzel des Anpassgetriebes (je nach Endgerät Desktop-PC, Tablet oder Smartphone nebeneinander oder übereinander abgebildet)

 

In beiden obigen Bildern der Drehzahlregler der Dampfturbine, vermutlich als Fliehkraftregler ausgebildet (je nach Endgerät Desktop-PC, Tablet oder Smartphone nebeneinander oder übereinander abgebildet)

Text und Bilder: Wolfgang Dünkel

(last update 27.02.2021)

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