Ahle Wurscht reift im Himmel!
Als Ikone der Nordhessischen Esskultur die "Ahle Wurscht" zu bezeichnen, das ist bestimmt nicht weit hergeholt! Denn über alle Landesgrenzen hinweg stellt die "luftgetrocknete Stracke oder Runde" ein bekanntes Markenprodukt dar. Um diesen Ehrentitel dauerhaft zu bewahren, gilt es, diese Würste in gleichbleibender höchster Qualität herzustellen. Dazu gehören nicht nur die erstklassigen Zutaten in Form von warmverarbeitetem, bestem Schweinemett und die Vermengung mit den vorgeschriebenen Gewürzmischungen im Fleischereifachbetrieb, sondern auch der zuverlässige Reifungsprozess bei der Lufttrocknung. Daher werden die beiden wichtigen Parameter Temperatur und Feuchte in der Reifekammer überwacht und unabhängig von der Außenluft und der Beschickung exakt geregelt. Seit alters her übernimmt beim Hausschlachter und in der traditionellen Landfleischerei eine seit Generationen bewährte Lehmkammer oder ein Wursteboden diese Funktionen über viele Monate, was vom Fachmann täglich mehrfach zu überwachen ist. So werden heute diese Konditionen auch mit modernen Mess-Steuer-und Regelgeräten (MSR-Anlage) vollautomatisch gesichert. Ein wahrer "Wurstehimmel" reift somit für den qualitätsbewussten Konsumenten heran.
Wie solch eine MSR-Anlage funktioniert und mit welcher Technik sie bestückt werden kann, zeigt die Prinzipskizze. Je ein Regler kümmert sich um die beiden Hauptparameter, der eine übernimmt die Regelung der Temperatur und der andere die der Feuchte. Dabei gelangen sogenannte "Schaltende Regler" zum Einsatz, deren Vorteile sich nicht nur in der präzisen Einhaltung der geforderten Sollwerte zeigen, sondern die dazu auch besonders robuste und zuverlässige Stellglieder mit einfachen Schaltimpulsen "Ein/Aus - On/Off" ansteuern.
Bei dem 2-Punkt-Regler für die Temperatur wird über die Ansteuerung eines Schaltventils die benötigte Wärmemenge in Impulsgruppen zugeführt. Bei dem Feuchteregler gelangt das Prinzip des 3-Punkt-Reglers zum Einsatz: Ein Ausgangsrelais schaltet die Trocknung ein und aus, ein weiteres Relais steuert die Zuführung von Feuchte. Es gibt also die drei Schaltzustände "Trocknung - Aus - Feuchte". Beiden Reglern gemeinsam sind die feinen Reaktionen auf kleinste Veränderungen des Istwertes vom Sollwert durch Ausgabe von passenden Stellimpulsen. Das ist ein Prinzip, das bei 90% aller angewandten Regelkreise wegen seiner Zuverlässigkeit und Robustheit verwendet wird und sich seit Jahrzehnten in allen Bereichen bewährt.
Natürlich müssen auch die passenden Sensoren an den richtigen Stellen angeordnet werden. Dazu werden physikalische Effekte so ausgenutzt, dass eine exakte und hochaufgelöste Ermittlung von Temperatur und Feuchte dauerhaft zuverlässig funktioniert. Eine bewährte Möglichkeit bietet die Auswertung von elektrischen Widerstandsänderungen von Metallen. So gibt ein aus Platin gefertigtes Messelement einen hochgenauen Verlauf nahezu linear zu den Temperaturschwankungen an. Das ermöglicht mit einem elektronischen Messumformer eine auf das Zehntel-Grad genaue Auswertung. Das aufbereitete Signal wird dem Regler als Istwert zugeführt. Bei der Feuchte nutzt man mit zwei solcher Platin-Widerstandsthermometern den Physikalischen Effekt der Verdampfungsenergie aus: wird einer der beiden Elemente dem zu messenden Luftstrom ausgesetzt, so kondensiert die Luftfeuchtigkeit an seiner Oberfläche und kühlt das Element proportional ab. Nun vergleicht man den Wert mit dem zweiten Element, das jedoch gekapselt vom Luftstrom die exakte Umgebungstemperatur ermittelt und erhält als Differenz ein Maß für die relative Luftfeuchtigkeit in Prozent - als Messwert für den Feuchtigkeitsregler! (Psychrometer Prinzip)
Gezeigt wird die Realisierung mit einem der bewährtesten analogen Regler nicht nur in der Lebensmittelindustrie, dem WITROMAT. Durch seinen auf steckbaren Elektronikmodulen basierenden internen Aufbau ließ er sich nahezu jeder Aufgabenstellung maßgeschneidert anpassen und er avancierte so zum universellen Industrieregler. Von dieser Reglerfamilie produzierte die Firma Philips in Kassel seit 1977 über 250.000 Geräte, die sich – oftmals über viele Jahrzehnte – in den vielfältigsten Applikationen vor allem auch im harten industriellen Einsatz international bewährten. Auch die beiden gezeigten Sensoren stammen aus Kasseler Fertigung, nämlich von der 1929 gegründeten Firma WITHOF GmbH, dem Vorläufer-Familienunternehmen von Philips Elektronik für Wissenschaft und Industrie GmbH (Philips EWI) und von PMA Prozeß- und Maschinen-Automation GmbH. Alle beheimatet in der Miramstraße 87 in Kassel-Bettenhausen. Wie man mit heutiger Technologie, zum Beispiel per Software und bildschirmgestützten, freiprogrammierbaren Multifunktions-Steuer- und -Regelsystemen solche und weitere Aufgaben realisiert, das zeigt die Ausstellung im Technik-Museum Kassel an vielen Applikationsfeldern.
Dieser ausgestellte WITROMAT wurde bei der Modernisierung einer Anlage von der Projektgruppe an der Technikerschule der beruflichen Schulen Bad Hersfeld vor der Verschrottung gerettet, nachdem er über 25 Jahre eine Wurst-Reifekammer zuverlässig geregelt hatte, und wurde mit Einverständnis des bisherigen Betreibers dem TMK zur Verfügung gestellt. Das Foto zeigt die Übergabe des Feuchte-Reglers WITROMAT durch Tim Schenck am 20. Juli 2022 an das TMK.
Den maßgeschneidert einsetzbaren Industrie-Regler WITROMAT führte Philips EWI im Herbst 1977 als eines der ersten vollelektronischen Regelgeräte im ¼-DIN-Format (96 mm x 96 mm) auf der internationalen Messe INTERKAMA in Düsseldorf dem Fachpublikum vor. Die Geräte-Besonderheit, die über LED-Lichtstreifen funktionierende Istwertanzeige, präsentieren hier - mit Hilfe eines von der Lehrwerkstatt bei Philips EWI hergestellten Modells im Maßstab 10:1 - der zuständige Produktmanager Wilhelm Allerdisse und der damalige Produkt- und Vertriebsingenieur Ulrich Marschall.
Weitere Informationen zur Regelungstechnik und zur Geschichte des WITROMAT bieten auf der TMK-Homepage die Rubrik Sammlungsgebiete Mess-Steuer-Regelungstechnik und dort der Artikel „Analoge Regler –WITROMAT“.
Zum Thema Regelungstechnik mit Schaltenden Reglern gelangen Sie hier.
(last update 14.08.2023)
Hier finden Sie eine verlinkte Auflistung unserer seit Oktober 2020 vorgestellten Objekte des Monats.
Wir haben zwar keine Belege hierfür, können es uns aber aufgrund der dokumentierten Entwicklungsgeschichte des Telefonwesens durchaus so vorstellen: Wohlhabende Bürger, Geschäftsleute, Landrat und Oberbürgermeister, der Pfarrer und nicht zu vergessen die Polizei hatten einen "Telephonapparat" der o.a. Behörde. Und wie heute versagte dieser auch mal seinen Dienst.
In Erscheinung trat also der uniformierte Beamte der kaiserlichen Telegraphenverwaltung und suchte nach dem Fehler. Rechts hatte er in seiner Uniformjacke an der Kette eine standesgemäße , vermutlich nur versilberte Taschenuhr, links sein "Kleines Drehspul-Amperemeter u. -Voltmeter in Taschenuhrform Typ Wzav" der Hartmann & Braun A-G aus Frankfurt am Main. Jetzt war Sorgfalt gefragt, denn Verwechseln beider "Uhren" half bei der Störungssuche nicht weiter! Aber diese Sorgfalt war ja auch von einem "Kaiserlichen Telegraphenbeamten", Dienstgrad leider unbekannt, ausdrücklich zu erwarten!
Weiterlesen