Medizinische Elektrisiergeräte zur Muskelstimulierung
Ein Gerät zur Muskelstimulation durch Stromimpulse, entwickelt und hergestellt vom ehemaligen Erlanger Unternehmen Reiniger, Gebbert & Schall, den späteren Siemens-Reiniger-Werken, nachfolgend der Unternehmensbereich Medizintechnik der Siemens AG und heute die Siemens Healthineers AG
Elektrizität faszinierte die Menschheit seit Jahrtausenden, der Begriff entstammt dem griechischen Wort "ήλεκτρον", deutsch "Elektron" für den natürlich vorkommenden "Bernstein". Dieser Bernstein zog – wenn er mit einem Wolltuch gerieben wurde – leichte Gegenstände wie Federn aufgrund eines elektrischen Feldes an, welches durch Ladungstrennung entstand. Und schon sehr früh war bekannt, dass Zitteraale und Zitterrochen ihre Beute im Wasser durch elektrische Entladungen lähmen und damit fangen konnten. Ärzte aus dem griechischen Kleinasien und Persien sollen nach der Zeitenwende Epileptikern (Pedanios Dioscurides) und chronisch durch Kopfschmerzen geplagten Patienten (Galenius und Avicenna) elektrische Zitterrochenschläge als "Elektrostimulationen" empfohlen haben, also eine erste Anwendung der Elektrophysiologie als Therapie. Und da bei diesem Exponat des TMK-Sammlungsgebietes "Medizingeschichte und -technik" die Grundlage zur Muskelstimulation in den physikalischen Grundlagen der Elektrizitätsforschung liegt, erstellten zwei unserer Sammlungsleiter einen gemeinsamen Beitrag hierzu.
Medizinischer Teil
Die Einführung der Elektrizität in die Medizin in der Mitte des 19. Jahrhunderts ist mit dem Namen Albrecht Th. MIDDELDORPF verbunden. Unabhängig von der Auswirkung auf die therapeutische Anwendung ist nachvollziehbar, dass schon alleine die Beleuchtung der Operationssäle, nicht zuletzt durch eine Operations-Leuchte durch bessere Sicht zur Verbesserung insbesondere in den chirurgischen Fachbereichen beigetragen hat.
Damals gab es auch schon Versuche, die Körperhöhlen zu untersuchen. Dabei war das zunächst angewandte Kerzenlicht, später auch Gaslicht, völlig unzureichend. Als erster führte Maximilian NITZE am 9. März 1879 das Cystoskop mit elektrischer Beleuchtung zur Untersuchung der Harnblase in die Medizin ein. Es ist auch nachvollziehbar, dass die Untersuchungen weiterer Körperhöhlen mit entsprechenden Instrumentarien folgten. Die Endoskopie hat sich breit gefächert heute als eigenständiges Gebiet etabliert, wobei die Warmlichtbeleuchtung allerdings durch das über Glasfasern geleitete Kaltlicht abgelöst wurde. Neben den erwähnten diagnostischen Möglichkeiten konnten durch die Endoskopie auch therapeutische Maßnahmen, z. B. das Abtragen eines Polypen oder auch eines kleinen Tumors mit der Elektroschlinge durchgeführt werden.
Schon gegen Ende der 1780-er Jahre waren die elektrophysiologischen Versuche von Luigi A. GALVANI an Froschschenkeln und dann auch von Alessandro VOLTA an Froschschenkeln bekannt und führten zu weiteren Versuchen, die therapeutische Wirkung des Stroms am Menschen zu etablieren. Im TMK sind eine Reihe dieser Apparaturen unterschiedlichster Art zu besichtigen, meist mit einfachen Batterien betrieben (s. Bild links bzw. oben ein Induktionsgerät, Typ 621b, von "REINIGER, GEBBERT & SCHALL, Universitäts - Mechaniker, ERLANGEN (Bayern) (RGS)" in wechselnden Ausführungen vertrieben von 1893 bis 1902). Die damaligen Anwendungsmöglichkeiten uferten zunächst geradezu aus und wurden an fast allen Körperregionen mit den unterschiedlichsten Erkrankungen empfohlen. In den meisten Fällen darf der therapeutische Effekt bezweifelt werden, es gibt dennoch eine Reihe von Indikationen, wo die Anwendung des elektrischen Stromes durchaus sinnvoll ist.
Das am Seitenbeginn dargestellte Elektrisiergerät, gegen Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts von RGS als Typ 17b mit der Bezeichnung "Transportable, konstante Tauchbatterie für Ärzte" hergestellt, zeigt links vorn die Glasbatterie, in der Mitte ein Milliamperemeter, dahinter einen "Doppelkollektor", ein Zwei-Wählhebel-Schaltgerät, zur Auswahl der Anzahl galvanischer Batteriezellen und dahinter einen "Rheostat", ein verstellbarer Widerstand, beide zur Spannungs- und damit der Stromanpassung. Außerdem sind weitere Einstellmöglichkeiten für erweiterte Funktionen eingebaut, Details hierzu im folgenden elektrotechnischen Teil. Vor dem Gerät, verbunden mit Leitungen zu den Geräteanschlüssen Anode und Kathode, links der FARADAY‘sche Pinsel (+), rechts die indifferente Elektrode (-). Bei Nervennähten in Folge einer Verletzung muss man die Atrophie des zugehörigen Muskels verhindern, bis der Nerv zum Erfolgsorgan durchgewachsen ist, das kann Monate dauern. Deshalb sollte täglich mehrfach der Nerv mit dem positiven Drahtpinsel gereizt werden, um eine Muskelkontraktion auszulösen, um damit die Atrophie des Muskels zu verhindern. Heute wird dem Patienten ein sog. TENS-Gerät mit Klebeelektroden mitgegeben, damit er auch zuhause die Behandlung täglich durchführen kann.
Die weitere Entwicklung der Medizin ist ohne Elektrizität sowohl in diagnostischer als auch therapeutischer Hinsicht nicht mehr denkbar. Über die Entdeckung der Röntgenstrahlen (1895) und die weitere Entwicklung hatten wir schon in einem vorigen Beitrag berichtet (siehe Objekt des Monats Januar 2024). Elektrokardiographie (EKG), Elektroencephalographie (EEG), Elektromyographie (EMG) und viele andere diagnostische Elektrographien oder auch unzählige Elektrotherapien, deren Einsatz in fast jedem medizinischen Fachgebiet erforderlich ist, zeugen vom rasanten Fortschritt der Medizin.
Text: Dr. Horst Haferkamp, TMK
(last update 31.03.2024)
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Elektrotechnischer Teil
Mit dem italienischen Arzt und Naturforscher Luigi Aleusio Galvani begann in 1780 die Forschung zur modernen Elektrophysiologie: Er entdeckte durch Zufall die Kontraktion präparierter Froschschenkel, vermeintlich unter dem Einfluss statischer Elektrizität (s. Zeichnung oben, Quelle *1). Sein Landsmann Alessandro Volta erkannte die Muskelzuckungen jedoch in äußerer Kontaktelektrizität und entwickelte daraus die erste "leistungsfähige" Primärbatterie, eine Kupfer-Zink-Zelle. Nach der 1820 veröffentlichten Magnetwirkung stromdurchflossener Leiter durch Hans Christian Oersted entdeckte Michael Faraday in 1831 deren Wirkungsumkehr und damit die Basis für den "volta-magneto-electrischen Inductionsapparat", um den es sich nach historischer Literatur beim TMK-Exponat handelt, nämlich induktiv erzeugte Stromimpulse und deren Einwirkung auf die Muskulatur. Vom Begriffsende her betrachtet bedeutet dies aus elektrotechnischer Sicht, dass auf eine primäre Drahtwicklung, also eine Spule, ein – aus einer Batterie nach Volta elektrisch erzeugtes – Magnetfeld wirkt, welches in einer sekundären Wicklung eine impulsförmige Spannung und bei Stromkreisschluss einen impulsförmigen Strom entstehen lässt.
Aus elektrotechnischer Sicht zu den abgebildeten Geräten: Zumindest zwei, vermutlich sogar drei der in der Vitrine ausgestellten Geräte entstammen der Fertigung eines Erlanger Unternehmens, der bereits erwähnten – ursprünglich offenen Handelsgesellschaft, späteren Aktiengesellschaft – Reiniger, Gebbert & Schall:
- Das große, am Seitenanfang abgebildete Gerät wurde vom Hersteller in der Preisliste 1902, 1. Abteilung: Galvanisation, als "Transportable konstante Tauchbatterie Nr. 17b für Ärzte" bezeichnet und ermöglichte neben der nachstehend detaillierter beschriebenen Impulsbehandlung auch die Gleichstrombehandlung durch eine eingebaute mehrzellige Tauchbatterie. Diese war unterhalb des schwenkbaren Gehäuseteils mit "Doppelkollektor", "Rheostat" und Milliamperemeter eingebaut.
- Das kleine, im medizinischen Teil abgebildete Gerät wurde vom Hersteller in der Preisliste 1893, II. Abteilung: Faradisation, als "Transportabler Induktions-Apparat Nr. 621 für Ärzte" bezeichnet und ermöglichte ausschließlich induktive Impulsbehandlung.
- Das hier links bzw. oben abgebildete Gerät "Transportabler Induktionsapparat Nr. 185 B" entstammt vermutlich der Fertigung des "Elektrotechnischen Instituts Frankfurt GmbH", später der "Vereinigten Elektrotechnischen Institute Frankfurt-Aschaffenburg (VEIFA), welche 1916 von RGS übernommen wurde.
- Das unten abgebildete Gerät entstammt sehr wahrscheinlich der Fertigung von RGS und wurde in der bereits genannten Preisliste von 1893, II Abteilung: Faradisation, als Induktionsapparat mit "Taschenapparat nach Gaiffe Nr. 615" bezeichnet.
Zur Erzeugung von aufeinanderfolgenden Induktionsspannungen muss die Batteriespannung permanent zu- und abgeschaltet werden, um über den entstehenden Wechsel von zu- und abgeschaltetem Gleichstrom ein permanent sich änderndes Magnetfeld zu erzeugen. Diese Aufgabe übernahm der "Wagner´sche selbstthätige electro-magnetische Hammer", ein Stromunterbrecher für die Spule, die das Magnetfeld erzeugen und damit "inducieren" soll. Diesen Hammer kennen Ältere unter den Lesern dieses Artikels noch aus der guten alten Zeit der Wohnungs- oder Haustürklingel, er besorgte das schrillende Klingeln. Außerdem kennen ihn VW-Käfer-Fahrer, er verursachte zusammen mit der Zündspule die Zündspannung an den Zündkerzen unserer mit Benzinmotoren getriebenen Fahrzeuge.
Da die Funktion des "Wagner´schen Hammers" nicht einfach zu erkennen ist hier eine Schaltung mit der prinzipiellen Wirkungsweise am Beispiel der Zündspule bei früheren Kraftfahrzeugen mit mechanischen Unterbrechern (Grafik unten, *2):
- der Kontakt S ist geschlossen, ein Strom fließt durch die Primärspule, das entstehende Magnetfeld der Spule bewirkt durch die "Magnetkraft" die Öffnung des Kontaktes S,
- der Stromfluss wird dadurch sehr schnell unterbrochen, das Magnetfeld bricht ebenfalls sehr schnell zusammen (große zeitliche Änderung des magnetischen Flusses), es entsteht in der Sekundärspule eine hohe Induktionsspannung, und
- die Rückstellkraft der Feder bewirkt die Schließung des Kontaktes S, Strom fließt wieder durch die Primärspule.
Beim "volta-magneto-electrischen Inductionsapparat" waren die Funktion des "Hammers" und der "Induction" dadurch aufgeteilt, dass in Reihe mit der Magnetspule für den Ein-Aus-Kontakt die Primärspule für die Induktionsspannung lag und mit der nachfolgenden Zeichnung erläutert wird:
Der Minuspol der Batterie ist an der Schraube A rechts in der Zeichnung angeschlossen, der Pluspol an der Säule G rechts vorn. Der kleine rechteckige Kontakt auf dem selbst federnden Unterbrecherhammer H, montiert an der Säule G, ist zur Einstellschraube F hergestellt, dieses ist über das Messingstück E mit der Klemmschraube D verbunden. Von dort fließt der Batteriestrom in die innere Spule C, weiter zum Hufeisenmagneten B und von dort weiter nach A. Der Unterbrecherhammer H schaltet also jetzt die in Reihe angeordnete primäre Induktionsspule C und den Hufeisenmagneten B.
Der kurzweg auch "Schlittenapparat" genannte "Inductionsapparat" des Physiologen und Begründers der experimentellen Elektrophysiologie Emil du Bois-Reymond war auf Holz aufgebaut und trug auf einem senkrechten zweiten Brett die primäre Induktionsspule C, einseitig befestigt und innen mit voneinander isolierten Weicheisendrähten ausgefüllt. Die im Durchmesser größere sekundäre Induktionsspule I mit weitaus höherer Windungszahl als die primäre war auf einem verschiebbaren dritten Brett befestigt und konnte dadurch mehr oder minder weit die primäre umschließen, was sich auf die Spannungswandlung (Transformation) von der primären zur sekundären Spule auswirkte (Zeichnung, *3). Der Unterbrecherhammer H schaltete also nicht nur den Hufeisenmagneten B periodisch ein und aus, sondern auch die in Reihe liegende Induktionsspule C.
In der prinzipiellen Grafik sind der Stromverlauf i1 in der primären Spule C und der Spannungsverlauf u2 in der sekundären Spule I über der Zeit t dargestellt. In der Realität des 19. Jh. wichen diese sicherlich ab, da Abmessungen, Induktivitäten, Schaltgeschwindigkeiten, das verwendete Weicheisen im Kern eine große Rolle spielen (Grafiken, *4).
In einigen Tagen können Sie sich beim Besuch des Museums eine ausführliche Beschreibung zu diesem Thema über QR-Code in der Nähe des Exponats kostenfrei herunterladen.
Text und nicht gekennzeichnete Bilder: Wolfgang Dünkel, TMK
(last update 31.03.2024)
Hier finden Sie eine verlinkte Auflistung unserer seit Oktober 2020 vorgestellten Objekte des Monats.
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Bild-, Zitat- und Grafikquellen:
*1: Froschschenkel-Experiment von Luigi Galvani, https://de.wikipedia.org/wiki/
Luigi_Galvani, gemeinfrei
*2: Wagnerscher Hammer, Helmut Lotz, TMK
*3: Die Electricität in der Medicin, Dr. Hugo Ziemssen, Verlag von August Hirschwald, Berlin, 2. Auflage, 1864, Seite 56
*4: Spannungs- und Stromverläufe am Funkeninduktor, https://de.m.wikipedia.org/wiki/Funkeninduktor#/media/Datei%3AInduction_coil_waveforms_de.svg, gemeinfrei