175 Jahre Lokomotivbau in Kassel
Die 1848 an die Friedrich-Wilhelms-Nordbahn ausgelieferte erste HENSCHEL-Lokomotive "DRACHE" in einer historischen Aufnahme (*2)
Am 29. Juli 1848, im Juli 2023 also vor 175 Jahren, wurde von der 1810 durch Vater Georg Christian und dem zweitältesten Sohn Werner gegründeten Fa. Henschel & Sohn die erste im Stammwerk am Holländischen Platz konstruierte und gebaute Dampflokomotive namens "DRACHE" ausgeliefert und damit eine – bis zum heutigen Tage andauernde – ausgesprochen langjährige Tradition des Lokomotivbaus in Kassel begründet. Dies ist für unser TECHNIK-MUSEUM KASSEL ein sehr bedeutender Anlass, die Lieferung mit dem Objekt des Monats Juli 2023 zu würdigen, nicht nur aus allgemein-historischer, sondern auch aufgrund der bedeutenden technik- und damit industriegeschichtlichen Bedeutung für die Region.
Bestimmt war diese Lokomotive für die Friedrich-Wilhelms-Nordbahn-Gesellschaft, einer zunächst von Bankhäusern in Frankfurt und Hanau getragenen und 1844 gegründeten Privatbahn. Benannt war die Bahn nach dem damals regierenden Kurprinzen Friedrich Wilhelm I. Er war nach dem Tod seines – faktisch seit 1831 abgedankten – Vaters Wilhelm II. in 1847 der letzte Kurfürst und Landesherr des Kurfürstentums Hessen, Zeit seines Lebens dem Absolutismus verpflichtet. Wie aber kam es zu dieser Friedrich-Wilhelms-Nordbahn? Und wer hier im damaligen "Cassel" war deren eifrigster Protagonist? Zwei Fragen, die wir aus Sicht des Autors und damit eines der Gründungsmitglieder des TMK e.V. beantworten wollen, allerdings nur in der "knappsten Form eines Objekt des Monats" nicht nur im ersten, sondern leider auch in den beiden folgenden Abschnitten zur Technik des "DRACHE" und zur Geschichte des Unternehmens Henschel & Sohn sowie seiner Nachfolgegesellschaften.
Mit sechs Kilometern Gleisen zwischen den bayerischen Orten Nürnberg und Fürth, der Übernahme des englischen Schienenabstands von 4ft + 81/2" (entspr. 1.435 mm), der aus England importierten Lokomotive "Adler" und dem englischen Lokomotivführer William Wilson begann 1835 die Geschichte der Eisenbahn im späteren Deutschland. Es folgte 1837 das erste Teilstück der Leipzig-Dresdner Eisenbahn, welche bis 1839 fertiggestellt wurde, und weitere Bahngesellschaften sowie deren Strecken schlossen sich an. So entstand Ende der 1830-er Jahre der Gedanke, Preußens Kernland über die sächsischen Kleinstaaten und Kurhessen mit dem preußischen Westfalen zu verbinden. Vom thüringischen Gerstungen kommend sollte die Strecke über Bebra, die Residenzstadt Cassel, Hofgeismar nach Haueda an der westfälischen Landesgrenze verlaufen und von Hümme einen Abzweig nach Carlshafen wegen des zwar besonders ge-, aber auch restlos überschätzten Weserhafens erhalten. Dieser Abzweig wurde später als Carlsbahn bezeichnet, die kurhessische Gesamtstrecke ohne den Abschnitt Hümme-Haueda gegen Ende des Jahres 1848 fertiggestellt bzw. 1849 mit dem Anschluss an Gerstungen eröffnet. 1849 erfolgte der Lückenschluss bis Haueda und 1851 zum westfälischen Warburg (Quelle *3, Grafik links bzw. oben *4).
Völlig klar, wer Eisenbahnen betreiben will, der benötigt auch Lokomotiven. Jetzt kommt – wenn auch nicht gleich zu Beginn, dennoch aber rechtzeitig – der eifrige Protagonist zum Zug: Carl Anton Henschel, der ältere der beiden Söhne von Georg Christian Henschel. Nach Jahren im Staatsdienst trat er 1817 in das Unternehmen Henschel & Sohn ein und erweiterte das Fertigungsprogramm. Schon 1803 hatte er sich mit der Anwendung der Dampfkraft für Straßenfuhrwerke beschäftigt und konnte bereits 1816 Kurfürst Wilhelm I. von Hessen-Kassel, dem Großvater von Friedrich Wilhelm I., das Holzmodell seines Dampfwagens vorführen. 1822 unterbreitete er Vorschläge zu Eisenbahnen für Bergwerke und entwarf später einen Plan für eine Eisenbahnverbindung zwischen Bremen und Frankfurt am Main. 1832 unternahm er eine Studienreise nach England und lernte George Stephenson kennen, den Erbauer der ersten durch eine Dampflokomotive gezogenen Eisenbahn zur Personen- und Güterbeförderung.
Nachdem das Projekt der Friedrich-Wilhelms-Nordbahn durch den Prinzregenten genehmigt war stellte er den englischen Ingenieur James Brook ein und bewarb sich – zunächst erfolglos – um die Lieferung von Lokomotiven (Quelle *5). Aber nach den ersten Auftragsvergaben an den amerikanische Hersteller Norris, den englischen Stephenson und den württembergischen Keßler wurden beim Casseler Unternehmen vier gleiche Henschel-Lokomotiven bestellt, mit "Drache" (Bild am Artikelanfang, Fabrik-Nr. 1) und "Pfeil" (Bild rechts bzw. oben, Fabr.-Nr. 2, Bild *5) sowie den Betriebsnummern 19 und 20 davon zwei in 1848, mit "Hassia" (später "Nordstern", Fabr.-Nr. 3) und "Cassel" (Fabr. Nr. 4) sowie den Betriebsnummern 21 und 22 weitere zwei in 1849 geliefert.
Von 1852 bis 1867, dem Ende des Kurfürstentums durch die Annexion Preußens, wurden bis zur Betriebsnummer 42 alle von Henschel geliefert, darunter auch zwei, welche die Norris-Lokomotiven mit den Betriebsnummern 1 und 4 ersetzten. Nur die vier ersten (Drache, Pfeil, Hassia und Cassel) waren 2B-Lokomotiven, hatten also vor den beiden unter dem Stehkessel angeordneten Treibachsen zwei Laufachsen. Alle danach von Henschel & Sohn bis 1867 für die F.-W.-Nordbahn gelieferten waren, wie das Bild links bzw. oben (*5) zeigt, 1B-Lokomotiven mit weit überhängenden Massen. Das Bild zeigt die Betriebsnummer 28 "Vulcan", welche mit der Fabriknummer 21 in 1855 geliefert wurde.
Die zweite Lokomotivlieferung von Henschel war für die Main-Weser-Bahn bestimmt und umfasste in den Jahren 1849/50 neun Lokomotiven mit den Fabr.-Nrn. 5 – 13. Insgesamt wurden 56 Henschel-Lokomotiven unterschiedlichster Bauart (zumeist 1B, aber auch acht C mit 1.298-mm-Treibrad-Ø als Güterzuglok und zwei B mit 1.200-mm-Treibrad-Ø als Tenderlok im vermutl. Rangierdienst) in den Jahren 1849 – 1880 an die Main-Weser-Bahn geliefert, die damit einen Lokomotivbestand von 130 Stück auswies. Die ersten 100 Lokomotiven und Kessel waren bis 1865 ausgeliefert, davon gingen 20 Stück und zwei Kessel an die F.-W.-Nordbahn, 19 Stück und 13 Kessel an die Main-Weser-Bahn, acht Stück an die Hannoversche Staatsbahn, sechs Stück an die Niederland-Rheinische Eisenbahn-Gesellschaft Amsterdam-Emmerich als erste Auslandslieferung und ebenfalls sechs Stück an die Westphälische Eisenbahn. Die Lokomotivauslieferung verlief also in diesen 17 Jahren mit durchschnittlich knapp sechs pro Jahr keineswegs stürmisch. Dies änderte sich erst 1873 nach dem deutsch-französischen Krieg und dem Beginn der Gründerjahre. Hierzu mehr im dritten Abschnitt.
Da der Kurfürst jegliche Schienenverbindung durch seine Residenz untersagte, erfolgte der Transport von der vor den Stadttoren am heutigen Holländischen Platz angesiedelten Fabrik zum im Bau befindlichen künftigen Hauptbahnhof am heutigen Rainer-Dierichs-Platz mit einem Pferdefuhrwerk! Aber was für einem? (Zitat und Bild rechts bzw. oben, *6): "Ein eigener, besonders starker Wagen war für die Beförderung gebaut worden, und die drei bedeutendsten Kasseler Fuhrleute, Vollmar, Kürle und Horchler, hatten einen rund 100 Pferde starken Vorspann gestellt. Nicht weniger als acht Tage dauerte es, bis der „Drachen“ zum „Eisenbahnhof“ gelangte und dort aufgegleist werden konnte." Ein etwa 17 Jahre später erfolgter Transport ist in einem Ölgemälde von Theodor Matthei in 1865 festgehalten worden, ehemals im Besitz des letzten Firmenchefs der Familie, Oscar Robert Henschel.
Nun ist es nicht Aufgabe dieses, den 175 Jahren Lokomotivbau in Kassel gewidmeten Internetartikels "Objekt des Monats ..." auch das Exponat geschichtlich und technisch ausführlicher darzustellen. Das ist im TMK einem dem jeweiligen Sammlungsgebiet zugeordneten Artikel vorbehalten und da dieser sowohl aus historischer als auch technischer Sicht umfänglicher ist sogar in getrennten Publikationen.
Bei einem derartigen "Juwel" in unserer Ausstellung, dankenswerterweise als Leihgabe vom benachbarten "Henschel Museum + Sammlung e.V." zur Verfügung gestellt, muss wie oben erwähnt neben der Entstehungsgeschichte im zweiten Abschnitt auch auf die Technik eingegangen werden. Dies ist in einem Internetartikel zwar möglich, erfordert aber sehr viel Raum und bleibt trotz vieler Details erklärungsbedürftig. Wir haben uns der Sache – ausgelöst durch eine für Laien missverständliche, für Techniker aber einwandfreie Leistungsangabe in PSi (indizierte Leistung in PS) – angenommen, allerdings mit dem Ergebnis von 30 Seiten im Format A4 in unserer üblichen, auf dem Smartphone noch gut lesbaren Schrift. Und dabei sind lediglich die Treibkraftentstehung und -berechnung sowie die damalige und heutige innere und äußere Steuerung erklärt worden, nicht der ganze große Rest einer Dampflokomotive. Das ersparen wir dem Leser dieser Internetseite hier und verweisen gern auf eine angemeldete Führung. Dennoch einige wenige Details zur Einstimmung:
Kräfte zum Antrieb einer Lokomotive und damit eines ganzen Eisenbahnzuges entstehen durch wechselseitige Beaufschlagung der Kolbenfläche in einem Zylinder, für die erste halbe Raddrehung z. B. von hinten nach vorn, für die zweite halbe Raddrehung von vorn nach hinten. Und dies bei einer zweizylindrigen Lokomotive durch Versatz der Treibzapfen um 90°, wie die obige Bildmontage (*7) der beiden Lokomotivseiten zeigt. In der historischen Aufnahme aus der Mitte des vorvergangenen Jahrhunderts am Beginn dieses Artikels ist ganz links oberhalb des linken Zylinders der eckige Schieberkasten zur Steuerung des Frischdampfes, aus dem Kessel kommend, für den Einlass und des Restdampfes, den Zylinder über das Blasrohr zum Schornstein verlassend, für den Auslass zu erkennen. Es handelt sich hier um einen Flachschieber, wie er anfänglich bei den noch geringen Drücken der Dampfkessel verwendet wurde. Bei fortschreitender Lokomotiventwicklung mit steigenden Dampfdrücken lastete auf den Flachschiebern mit äußeren Frischdampf-Einlässen und innerem Restdampfauslass der volle Kesseldruck. Entsprechend groß waren die erforderlichen Kräfte zur Verstellung des Flachschiebers und führten zum besser erklärbaren Kolbenschieber mit ebenfalls äußeren Einlässen und innerem Auslass.
Der Kolbenschieber oberhalb des in leichtem Grau dargestellten Zylinder- und Schiebergehäuses (Grafik links bzw. oben, *8) ist links bzw. oben in Lila dargestellt und – wie gut zu erkennen – lastet der Kesseldruck nur auf den jeweiligen äußeren Kolbenflächen. Die Schieberstellung gibt den kurzzeitigen Dampfeinlass links wieder und zeigt, dass bereits nach kurzer Zeit das Ende der Füllung mit Frischdampf erreicht wurde, dieser eingelassene Dampf sich dann im verschlossenen Zylinder ausdehnen und so seine Energie an den in Grün dargestellten Kolben abgeben kann. Kurz vor Ende des Kolbenwegs von links nach rechts muss der Kolbenschieber bereits den rechten Dampfeinlass öffnen und damit die Hubumkehr mit Verdichtung des Restdampfes einleiten. Die rot umrandete Fläche innerhalb des Zylinderraumes stellt den auf den Kolben wirkenden Druckverlauf innerhalb eines Kolbenwegs dar und ist zusammen mit der Kolbenfläche ein Maß für die nicht konstante Kraft, die auf den Kolben wirkt. Zusammen mit dem Kolbenweg stellt diese mittlere Kraft eine Arbeit dar und über die Zeit, die für diesen einen Kolbenweg benötigt wird ist sie ein Maß für die abgegebene Leistung, welche als indiziert bezeichnet wird und nicht die abgegebene Leistung der Lokomotive darstellt. Theoretisch bedeutet dies beim angegebenen Kesselüberdruck von 5,5 atü (veraltete Dimension, aktuell 53,9 N/cm2) und einer Kolbenfläche von 1.140 cm2 eine auf den Kolben wirkende Kraft von 61,5 kN und damit bei einem Kolbenhub von 610 mm eine Kolbenarbeit von 37,5 kNm oder 37,5 kWs. Bei einer angegebenen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h, einem Treibraddurchmesser von 1.524 mm kann die Dauer eines Kolbenhubs mit 0,575 s berechnet werden und somit die indizierte, nicht die abgegebene Leistung der beiden Zylinder oder gar der Lokomotive an den Treibrädern mit 130 kW, was der veralteten Dimension 177 PSi entspricht. Da aber der Kesselüberdruck ein statischer Wert ist und nicht den Druckverlust beim Fließen des Dampfes über Regler, Rohrleitungen und Schiebersteuerung berücksichtigt, ist die tatsächliche indizierte Leistung noch geringer. Und da auch bei der ersten Henschel-Lokomotive "DRACHE" aus wirtschaftlichen Gründen der im Zylinder wirkende Druck über den gesamten Kolbenweg nicht konstant gehalten wurde, ist die erbrachte Kolbenarbeit und damit die Leistung nochmals geringer anzusetzen. Die Details erklären wir Ihnen gern bei einer Führung.
In der Realität sieht dann ein Kolbenschieber zusammen mit dem Kolben im Zylinder und lediglich Teilen der aktuelleren äußeren Steuerung aus wie rechts bzw. oben abgebildet. Kolbenschieber und Zylinder sind aufgeschnitten dargestellt, um die inneren Teile zu erkennen, die beiden Räder unten sind Lauf- und keine Treibräder, der Kettentrieb unten ist vermutlich zur Animation des Exponats angebracht (Bild *9). Diese nicht komplett abgebildete äußere Steuerung wird in diesem Artikel nicht beschrieben, das wäre für einen Internetartikel, wie bereits dargelegt, zu umfangreich und kann nach einer Führung im TMK als eigener Artikel zusammen mit der Treibkraft- und Leistungsberechnung auf Smartphone oder Tablet geladen werden.
Vorenthalten möchten wir aber den Besuchern dieser Internetseite zum Objekt des Monats Juli 2023 nicht die von Carl Anton Henschel für seinen "DRACHE" und die nächstfolgenden Lokomotiven übernommene äußere Steuerung (Grafik unten, *10), welche von zwei Mitarbeitern des Sohnes Robert von George Stephenson erfunden und sicherlich am Original-"DRACHE", nicht aber an unserem Exponat aus Holz verbaut wurde. Auch nach dieser kurzen Beschreibung ist dem Leser dieser Seite sicherlich klar, dass die Stellung des Treibzapfens am Treibrad von Bedeutung ist, "irgendwie" abgegriffen und der inneren Steuerung übermittelt werden muss.
Lassen Sie sich diese weiterentwickelte Form der Stephenson-Steuerung erklären, am Exponat finden Sie lediglich eine frühere Ausführungsform, endend am hinteren Ende der Exzenterstangen ohne die versetzten Hubscheiben (Exzenter). Damit wollen wir hier die kurze Technikbeschreibung im zweiten Abschnitt enden lassen und wenden uns, zwangsläufig auch in kurzer Form, im dritten Abschnitt dem Lokomotivbau in der Firmengeschichte zu.
Ausführlich ist der Lokbau über die Jahre und Jahrzehnte ab 1848 in einem Buch beschrieben, welches zu den ersten 125 Jahren des Unternehmens in 1935 erschien, uns vorlag und aus dem wir zitieren und Abbildungen verwenden (Quelle *1).
2010 hätte das Unternehmen also 200 Jahre Bestand gehabt, wenn nicht 1945 nach weitgehender Zerstörung durch die alliierten Luftstreitkräfte und Beendigung der Kriegsproduktion trotz Umstellung auf Friedensproduktion der Niedergang des Unternehmens eingesetzt hätte. Der in Kassel herausgegebenen und gedruckten Hessische Allgemeine waren die 200 Jahre zu Recht eine Artikelserie wert, aus der wir, auf die leitenden Familienmitglieder und den Lokomotivbau bezogen, in zu Recht auch kritischen Ausschnitten zitieren, so z. B. am 04.01.2010 zur Fertigstellung und Auslieferung der 2000. Henschel-Lok, bestimmt für die Königlich Preußischen Staatsbahnen, am Wochenende vor dem 27. Juli 1885. Erinnert dieses Datum an etwas zu Beginn dieses Artikels? Ja, am 29. Juli 1848 wurde die erste Henschel-Lok, der hier vorgestellte "DRACHE" ausgeliefert.
Das war Carl Anton Oskar Henschel, dem Enkel des "eifrigen Protagonisten" und "DRACHE"-Erbauers Carl Anton Henschel ein regelrechtes Volksfest mit der gesamten Belegschaft wert: "In den Fabrikhallen nach der Jubiläumslok-Auslieferung passierte am ersten Werktag danach, einem Montag, gar nichts. Dafür transportierten 36 Eisenbahnwaggons die gesamte Belegschaft mit ihren Angehörigen vom Kasseler Bahnhof Richtung Zwehren. Die Haltepunkte Oberzwehren und Rengershausen gab es damals noch nicht. Deshalb hielt der Zug auf freier Strecke mitten in den Feldern. Fast 2000 Menschen stiegen hier aus und folgten einer Blaskapelle. Das Ziel war die Knallhütte, wo die Henschelaner ausgiebig bewirtet wurden. Überliefert ist, dass Oskar Henschel 86 Fässer Bier spendierte. ......" (*11).
Oskar Henschel starb nach einer Lungenentzündung in 1894, seine Ehefrau Sophie, überaus und herausragend wohltätig in der Stadtgesellschaft, übernahm die Leitung des Unternehmens und die HNA veröffentlichte am 19.02.2010: "Nach dem Tod ihres Mannes wurde die Frau an der Spitze in der damaligen Männergesellschaft zunächst sehr kritisch beäugt. Es dauerte aber nicht lange, bis Sophie Henschels Fähigkeiten anerkannt wurden. Sie setzte auf Heißdampflokomotiven (s. unsere Artikel zum Schmidt´schen Rauchrohrüberhitzer, d. Aut.), verjüngte ihre Führungsmannschaft und bereitete ihren Sohn Carl (auch Karl Anton, d. Aut.) akribisch darauf vor, dass er einmal in ihre Fußstapfen treten würde. 16 Jahre lang leitete Sophie Henschel die Firma. Ab 1910 zog sie sich langsam zurück. Zu diesem Zeitpunkt war Henschel der größte Lokomotivbauer Europas, die 10.000 Lok und der 100. Firmengeburtstag wurden groß gefeiert. Die herausragende Unternehmerin Sophie Henschel blieb trotzdem über viele Jahre eine Randnotiz der (männlichen) Geschichtsschreibung. In der (oben erwähnten, d. Aut.) offiziellen Henschel-Chronik 1810 bis 1935 wird sie lediglich in wenigen Zeilen erwähnt. Sie habe das Lebenswerk ihres Mannes weitergeführt, heißt es da. Der bedeutendsten Unternehmerin und reichsten deutschen Frau im Kaiserreich wird das bei Weitem nicht gerecht." (*12) Die oben bzw. rechts dargestellte Postkarte des Unternehmens erinnert an diese 100-Jahr-Feier mit der Auslieferung der 10.000. Lokomotive (*13).
Der 28. Juni 1810 ist als Gründungsdatum von Henschel & Sohn in die Geschichte eingegangen. Georg Christian Carl Henschel, 1777 als Gießergeselle nach Cassel gekommen, legte mit seinem zweitgeborenen Sohn Werner den Grundstein für ein Unternehmen, dass Kassel über sehr lange Zeit prägte und in unserem TMK wie dem benachbarten Henschel-Museum bis heute prägt. Die HNA veröffentlichte zur 200-Jahr-Feier am 23.06.2010 in einem Artikel auch ein Bild von einer 1935 erfolgten Lok-Überführung in die Wolfhager Straße am Holländischen Platz, das wir hier mit den Rechten des Stadtmuseums Kassels wiedergeben (Bild unten, Quelle *14).
Noch spektakulärer hier unten drei Abbildungen der Stromlinien-Tenderlokomotive Reihe 61, Betr.-Nr. 61001, der Bauart 2C2 aus dem Baujahr 1935 oben teilverkleidet im Werk, mittig bei der Werksausfahrt über den Holländischen Platz in die Wolfhager Straße zum Unterstadtbahnhof und unten bei der Schnellfahrt vor einem Personenzug (*15). Sie wurde speziell für den Henschel-Wegmann-Zug der Deutschen Reichsbahn konzipiert und mit der Betr.-Nr. 61002 in der Bauart 2C3 nur ein zweites Mal in 1939 hergestellt
Selbstverständlich wäre in diesem Artikel noch Vieles auszusagen, denn annähernd unerschöpfliches Material steht uns zur Verfügung. Aber auch das soll anderen Veröffentlichungen vorbehalten bleiben, denn erstens gibt es für Alle nicht nur genug, auch selbst hat man genug zu tun, denn das eigene Sammlungsgebiet Elektrische Energietechnik wartet schon ungeduldig bei den Elektrischen Maschinen.
Abschließend ist unbedingt, auch in diesem "kurzen" Artikel, festzuhalten, dass nach dem Erlöschen des ursprünglichen Unternehmens weiterhin Lokomotiven in Kassel entwickelt, konstruiert und, aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in vielen Einzelteilen hier gefertigt, zusammengebaut und ausgeliefert werden. Über mehrere Umfirmierungen, Zusammenschlüsse und Übernahmen der Henschel & Sohn GmbH wie – hier beispielhaft ohne den Anspruch auf Vollständigkeit aufgezählt – der Henschel Werke AG, der Rheinstahl-Henschel AG, Thyssen Henschel, ABB Henschel (dem Zusammenschluss des Schweizer Elektrotechnikkonzerns Brown Boveri mit der schwedischen Asea auf der einen und dem Lokomotivhersteller Henschel auf der anderen Seite), ADtranz (dem Zusammenschluss der ABB Henschel mit dem Daimler Zugtechnikbereich aus der ehemaligen AEG mit dem Werk Henningsdorf nördlich Berlin), dem Verkauf an Bombardier Transportation wurde aktuell ALSTOM der Eigner des auf dem ehemaligen Henschel-Werk Mittelfeld angesiedelten Werkes, welches schon seit über sechs Jahrzehnten keine Dampflokomotiven, sondern dieselelektrisch oder ausschließlich bevorzugt elektrisch angetriebene Zugmaschinen an ihre Kunden ausliefert.
Text und nachfolgendes Bild: Wolfgang Dünkel, TMK
(last update: 01.07.2023)
Hier finden Sie eine verlinkte Auflistung unserer seit Oktober 2020 vorgestellten Objekte des Monats.
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Bild-, Zitat- und Grafikquellen:
*1: 125 Jahre Henschel, herausgegeben von der Henschel & Sohn AG, Kassel, 1935
*2: Foto "DRACHE", wie *1, S. 98
*3: Friedrich-Wilhelms-Nordbahn-Gesellschaft, Friedrich-Wilhelms-Nordbahn-Gesellschaft – Wikipedia
*4: Grafik F.-W.-Nordbahn, HNA-KSS v. 27.03.1948, S. 2, Karte Tilcher
*5: Henschel-Lokomotiven, wie *1, Seiten 98 ff. und 200 ff.
*6: Grafik Loktransport, HNA-KSS v. 29.07.1948, S. 3, 1. Spalte, Text Bruno Jacob, Karikatur Egon von Tresckow, älteren bis alten HNA-Lesern wohlbekannt
*7: Treibräderstellungen, Teilfoto rechts Harald Dlugos, TMK; Teilfoto links und Bildmontage Wolfgang Dünkel, TMK
*8: Indikator-Diagramm, Datei:Schematic indicator diagram.png – Wikimedia Commons , Old Moonraker in der englischen Wikipedia, CC BY-SA 3.0 <http://creativecommons.org/li-censes/by-sa/3.0/>, via Wikimedia Commons, überarbeitet und neu beschriftet durch Wolfgang Dünkel, TMK
*9: Geöffneter Kolbenschieber und Zylinder, https://upload.wikime-dia.org/wikipedia/commons/1/19/Zylinder.jpg, Der ursprüngliche Uploader war WHell in der deutschen Wikipedia., CC BY-SA 3.0 <http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/>, via Wikimedia Commons
*10: Stephenson-Ventilsteuerung, https://upload.wikimedia.org/wikipe-dia/commons/0/09/Stephenson_link_valve_gear.jpg, Henri Albert Herdner, Public domain, via Wikimedia Commons, seitenverkehrt gespiegelt und mit deutschen Bezeichnungen versehen durch Wolfgang Dünkel, TMK
*11: Jubiläumsfest 1885, HNA-KSS_2010-01-04, Seite 4, Redakteur Thomas Siemon
*12: Sophie Henschel, HNA-KSS_2010-02-19, Seite 4, Redakteur Thomas Siemon
*13: Festpostkarte, wie *1, Seite 123
*14: Lok-Überführung, Auslieferung einer Lok am Holländischen Platz. 1935, Fotografie, Inv.-Nr. 03/0120 © Stadtmuseum Kassel
*15: Stromlinienlokomotive Reihe 61, wie *1, Seite 258